Entwicklungszusammenarbeit wohin?

Die schweizerische EZA ist im Wandel, der hier analysiert und kommentiert werden soll .


Ein Kommentar

Quo Vadis Föderalismus

Die Volksabstimmung über die Konzernverantwortungsinitiative mit einem Volksmehr gegen ein Ständemehr hat die Rolle des Föderalismus vorübergehend zu einem tagepolitischen Thema gemacht. Ist der heutige Föderalismus noch zeitgemäss? Ich möchte dieser Frage anhand von drei Geschäften verschiedener Tragweite nachgehen: Es geht um die Bewältigung der Pandemie, die Vernehmlassung zum neuen Rahmenkredit für die Internationale Zusammenarbeit von 2019, und die Strategie für nachhaltige Entwicklung, welche gegenwärtig die Vernehmlassung durchläuft.

  • Die Bekämpfung der Pandemie, COVID-19, zeigt ein sehr zwiespältiges Bild. Die zweite Welle ist zu einem Kompetenzgerangel zwischen Bund und Kantonen verkommen. Klare Entscheide sind persönlichen Rivalitäten, der Profilierungssucht der Parteien und der Einflussnahme von Interessenverbänden zum Opfer gefallen. Unsere classe politique hat dabei keinen guten Eindruck gemacht. Vor allem bürgerliche Parteien haben die Pandemie zum Vorwand einer ordnungspolitischen Diskussion gebraucht und damit die Bekämpfung der Pandemie geschwächt. Im Falle einer Pandemie braucht es offenbar eine klare zentrale Führung. Jedenfalls hat sich der Föderalismus als verwirrend und teilweise wenig zielführend erwiesen.
  • Die Vernehmlassung zur Botschaft für einen neuen Rahmenkredit der IZA ist von besonderem Interesse, weil zu diesem Thema erstmals eine solche Übung durchgeführt wurde. Über 230 Stellungnahmen sind eingegangen. Auffällig war das starke Engagement der Zivilgesellschaft. Hier interessiert die Stellungnahme der Kantone. Die markantesten Kennzeichen waren einerseits die umfassenden und sorgfältigen Stellungnahmen der städtischen Kantone und der Romandie und andererseits die eher nichtssagenden Einzeiler- Antworten der kleinen und ländlichen Kantone. Fazit: Die kleinen Kantone verfügen in einem solchen Sachgeschäft nicht über das benötigte Fachpersonal. Damit entsteht die Gefahr, dass bei komplexen internationalen Fragen-und diese werden in Zukunft zunehmen- die kleinen Kantone praktisch keine Stimme haben. Das Gewicht der grossen Kantone wird überproportional wachsen.
  • Bei der Strategie für nachhaltige Entwicklung, die vom Bundesrat zur Vernehmlassung geschickt wurde, fällt auf, dass zwei Bundesämter, das Bundesamt für Raumplanung (ARE) und die Direktion für internationale Zusammenarbeit (DEZA), mit der Koordination betraut werden, welche innenpolitisch wenig Hebelwirkung haben. In unserem Zusammenhang ist von Bedeutung, dass sich die Strategie praktisch ausschliesslich auf die Kompetenzbereiche des Bundes beschränkt. Kantone und Gemeinden werden lediglich ermutigt, sich für die Ziele der Nachhaltigkeit einzusetzen. Dabei ist eigentlich klar, dass klare Massnahmen von Kantonen und Gemeinden notwendig sind. In einem zentralen Geschäft, das für die Erreichung der Klimaziele von entscheidender Bedeutung ist, bleiben die Kantone Randerscheinungen. 

Ich gehe davon aus, dass der Föderalismus weiterhin eine tragende Säule unseres Staatsgefüges darstellt. Die drei Beispiele zeigen aber, dass die gegenwärtig gültigen Mechanismen revidiert werden müssen.

  • Die Pandemie steht stellvertretend für dynamische internationale Krisen und Entwicklungen, welche wir in Zukunft vermehrt meistern müssen. Je dynamischer und überraschender solche Krisen sind, desto mehr wird eine zentrale Führung notwendig sein. In solchen Situationen werden die Kantone vorübergehend zu Vollzugsorganen.
  • Die Vernehmlassung zur IZA zeigt, dass kleine Kantone personell überfordert sind. Andererseits wird der Handlungsbedarf auf Grund globaler Problemstellungen und internationalen Zusammenhängen immer wichtiger. Wichtige innenpolitische Instrumente wie Föderalismus, Referendum und Volksinitiative werden geschwächt. Es stellt sich die Frage, ob kleine Kantone sich nicht regional organisieren und ihre Ressourcen zusammenlegen sollten, damit sie im eidgenössischen Meinungsbildungsprozess genügend Gewicht haben.
  • Die Nachhaltigkeitsziele von 2030 sind vom EDA international geprägt und verhandelt worden. Sie stellen ein typisches Beispiel von einem globalen Anliegen dar, welches von oben herab oder noch schlimmer, von aussen formuliert wurde. Die politische Akzeptanz in Kantonen und Gemeinden ist bescheiden. Die Basis ist schlecht informiert und die zivilgesellschaftlichen Organisationen, normalerweise Pioniere für die innenpolitischen Willensbildung, wurden zu wenig eigebunden.

Die Schweiz ist vor allem wirtschaftlich globalisiert. Sie wird immer mehr auf internationale Entwicklungen reagieren müssen. Die Herausforderung wird nicht sein, ob die Zentralregierung federführend sein muss, sondern, wie es möglich sein wird, dass die Kantone und nachgegliederte Strukturen ihren Einfluss wahrnehmen und ihr Interesse vertreten können. Der Föderalismus müsste dafür sorgen, dass trotz Gewichtsverlagerungen zum Bund, die Verwaltung nicht immer schwergewichtiger wird. Dazu braucht es eine Verwesentlichung unseres Föderalismus: er muss flexibler und effizienter werden.  

Zusammenfassend sollten folgende Konklusionen diskutiert werden:

  • Bei Pandemien und anderen ausserordentlichen Entwicklungen muss der Bund eine klare Führungsrolle übernehmen. 
  • Die Gegengewichte gegen eine wachsende Zentralgewalt müssen aber gestärkt werden. Dies betrifft die Kantone, Gemeinden und zivilgesellschaftliche Organisationen.
  • Kleine Kantone sollten ihre Ressourcen zusammenlegen, damit sie politisch und fachlich genügend Gewicht erzeugen können.
  • Die Konferenz der Regierungspräsidenten der Kantone und die Fachdirektorenkonferenz sollten verstärkt werden. Sie brauchen eine intensivere Periodizität und professionelle Sekretariate.
  • Der wachsende Gewichtsunterschied zwischen großen und kleinen Kantonen ist ungesund. Größerer Kantone sollten ihre Sitzzahl im Ständerat erhöhen können. Das Ständemehr sollte proportional zur Anzahl Ständeräte gewichtet werden. 
  • Die Unterschriftenzahlen für Referendum und Volksinitiative müssten erhöht werden.