Die Demokratische Republik Kongo ist eines der fragilsten Länder der Welt. Das grosse Rohstoffaufkommen und die grosszügige Ressourcenausstattung erhöhen diese Fragilität. Das Land hat rund 60 Millionen Einwohner. 46.9% der Bevölkerung ist jünger als 15 Jahre und die Wachstumsrate liegt bei 3,1%.
Es gibt mindestens vier Gründe, weshalb der Kongo mittelfristig zu einem der wichtigsten Länder für die Migration nach Europa wird:
- Der Kongo, Land der alten Männer
Das Land kennt keine moderne Personalpolitik. Es gibt keine Sozialversicherung und keine Pensionierung. Die Alten bleiben so lange in ihren Funktionen, bis sie nicht mehr können. Dies betrifft die unzähligen Regierungsbeamten (es gibt dazu nur Schätzungen), das Gastgewerbe, ja sogar das Kulturschaffen. Junge müssen sich oft drei bis vier Jahre als Volontäre in die Institutionen einschleichen, um allenfalls eine Chance zu haben, zu einer Anstellung zu kommen. Seit 30 Jahren folgen sich Reformversuche mit namhafter Unterstützung der internationalen Geber, welche im Sand verlaufen sind
- Korruption ist Überlebensstrategie
In der der zentralistischen Regierung gibt es eine Unzahl von Beamten,
deren Merkmal ist, dass sie so schlecht oder nicht bezahlt sind, so dass sie Zusatzbeschäftigungen oder eben mindestens Zusatzeinkommen haben müssen, um sich und ihre Familien über Wasser halten zu können. Aussenstehende bezeichnen dies als Korruption. Für den Kongolesen ist dies der Lebensstil, eine Überlebensstrategie. Die Folge davon ist, dass die ausländischen Geber für ihre Projekte Parallelstrukturen aufbauen oder internationale NGOs mit der Durchführung beauftragen. Damit werden nicht nur die nationalen Strukturen noch mehr geschwächt. Den Jungen fehlen Aufstiegschancen.
- Entwicklungshilfe fördert die Abhängigkeit.
Am Beispiel des Umwelt und Forstsektors lässt sich zeigen, dass sich die
Entwicklungsstrategien nicht an den Bedürfnissen der Bevölkerung sondern an den internationalen Finanzpotentialen orientieren. Die meisten Entwicklungsgelder fliessen nicht in die nachhaltige Nutzung der Wälder und die Verarbeitung des Holzes, zentrale Entwicklungspotentiale des Landes. Priorität haben der Schutz der Biodiversität und der Kampf gegen den Klimawandel, der anderswo gemacht wird. In die Augen springend ist die Situation in den Nationalparks, die infolge der Konflikte aber insbesondere weil die Wächter und ihre Vorgesetzten ihre Löhne ergänzen müssen, immer weniger Tiere haben.
Die Orientierung an internationalen Opportunitäten schafft neue Abhängigkeiten. Basisentwicklung ausgehend von den realen Bedürfnissen und Potentialen der Bevölkerung und des Landes habenwenig Platz. Da ist kaum lokale Verantwortung und Organisationsstärkung zu erwarten.
- Die Konzessionen für Minen und Landwirtschaft sind ein Staat im Staat.
Sie funktionieren intern professionell und effizient. Konzessionen von Minen und Landwirtschaft sind praktisch Exklaven. Der Kongo besteht aus zwei Welten: Die Welt der Konzessionen. Das ist die Welt des Wohlstandes und des Überflusses. Hier wird Wachstum aber kaum Mehrwert generiert. Es ist auch die Welt des Präsidenten des Landes, der seine persönlichen Einkünfte dort bezieht und seine Getreuen bei der Stange hält. Daneben gibt es die reale Welt der Kongolesen, der Dorf- und Landbewohner. Zu ihnen gehören die Fachministerien, die unterfinanziert und ineffizient sind. Sie sind der Bereich des Premierministers und der ausländischen Geber. Die bescheidenen Mittel (2014 hat das Umweltministerium höchstens 17% seines Budgets ausgegeben) werden kompensiert durch grosszügige Entwicklungshilfe.
Ich sitze in einer Zusammenkunft der Dorfvertreter des Sektors Katete in der Provinz Katanga. Die Leute beklagen sich: rechts der Strasse liegt der Nationalpark Kundelungu. Links erstreckt sich ein weites grünes Meer von gleichmässigen Maispflanzen. Es handelt sich um die eingezäunte Landwirtschaftskonzession einer Minengesellschaft. Die Dorfbewohner sehen für sich und ihre Nachkommen kein Entwicklungspotential. Sie verfügen über keine Landreserven, und es gibt keine Programme, die ihnen zeigen würden, wie die landwirtschaftliche Produktion intensiviert, verarbeitet und vermarktet werden könnte. Die Jungen wandern ab in die Hauptstadt (und die Mehrheit, die keine Arbeit findet, möchte möglichst rasch ins Ausland weiterziehen).
Die Kombination von strukturellen Problemen und der Mangel der internationalen Entwicklungszusammenarbeit, diese anzugehen, respektive die Fähigkeit der Elite, die Reformen zu umgehen, weil sie von der Welt der Konzessionen und Nebeneinkünften gut lebt, führt für die ländliche Bevölkerung und vor allem den Jungen zu einem Zwang zur Verstädterung und weil dort keine Beschäftigung besteht ins Ausland.
Was für Antworten bringen neue Ansätze der Entwicklungszusammenarbeit? Gemäss den Absichten der OECD soll sie die Fragilität abbauen. Die junge Generation und die Verstädterung werden als Potential betrachtet. Als Lösung werden die Schaffung von Fonds zur Konfliktlösung, zum Gewaltabbau und friedensfördernde Massnahmen vorgeschlagen.
Wir haben alle Chancen, dass sich die Migration Richtung Europa in den kommenden Jahren massiv intensivieren wird!