Entwicklungszusammenarbeit wohin?

Die schweizerische EZA ist im Wandel, der hier analysiert und kommentiert werden soll .


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Wie ernst nimmt der Bundesrat das Pariser Abkommen?

Internationale Zusammenarbeit (IZA)steht heute nicht im politischen Fokus der schweizerischen Behörden. Im Zentrum steht aussenpolitisch die Beziehung zur EU und innenpolitisch die Bewältigung der Corona – Krise. Anhand der IZA lassen sich aber zwei verschiedene Denkweisen illustrieren, welche die schweizerische Aussenpolitik in den kommenden Jahren prägen werden.

Da ist die erste, gegenwärtig dominierende Schule: Sie versteht sich als Verteidigerin kurzfristiger und vorwiegend materieller Interessen. Wirtschaftliche und migrationsspezifische Anliegen stehen im Vordergrund. Im Aussenministerium (EDA) gehören der Minister und sein Generalsekretär zu den Motoren dieser Schule. Wie Georg Häsler Sansano in seinen NZZ -Artikeln unterstreicht, gehört die Armee durchaus zu den Instrumenten dieser modernen internationalen Zusammenarbeit. Lehrkurse der NATO und die Erfahrungen im Kosovo dienen als Grundlage für eine globale Vision. In diesem Sinne soll die Armee zum Schutze der Entwicklungshelfer in Krisengebieten eingesetzt werden. Internationale Zusammenarbeit wird bei dieser Denkschule weitgehend als etwas verstanden, das in den strukturschwachen Staaten des Süden stattfinden soll. Sie wird ermöglicht Dank der wirtschaftlichen, technologischen und finanziellen Ressourcen des Nordens, sowie der Schweiz. Das EDA liess diese Sicht der Dinge durch eine Expertengruppe unter dem Titel Vision 2030 erstellen.

Diese Haltung hat nun im Nachgang zur Konzernverantwortungsinitiatve einen zusätzlichen Akzent gewonnen: Das EDA und rechtsbürgerliche Kreise sind der Meinung, Hilfswerke, NGOs, sollten im Süden möglichst gute Arbeit leisten. Für die Arbeit in der Schweiz aber, wenn sie dies überhaupt als notwendig erachten, sollen sie eigene Spende Mittel und keine Staatsbeiträge verwenden. Die Trennung zwischen Arbeit im Süden und der Situation in der Schweiz ist gewissermassen ein Axiom. Am deutlichsten wird dies im Postulat Schneider-Schneiter vertreten, welches im Nachgang zur KVI eingereicht wurde. 

Die zweite Schule geht von einer globalen Analyse aus, versucht die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu definieren und fragt sich, welches unsere Interessen sind, und welche Rolle wir spielen können und sollen. Es handelt sich um die Herausforderungen, welche in den Verhandlungen der Nachhaltigkeitsziele (SDG) und dem Pariser Abkommen eine zentrale Rolle spielten. Kernthese ist, dass die Herausforderungen globaler Art (Klimawandel, Migration, Pandemien und Zugang und Management von Ressourcen usw.) im Süden wie im Norden einen transformatorischen Wandel notwendig machen. Die Hauptpromotoren dieser Schule waren ironischerweise dasselbe EDA unter dem Vorgänger des heutigen Aussenministers, welcher nota bene zur gleichen politischen Partei gehört wie dieser. Die Mitarbeiter des EDA haben bei den internationalen Verhandlungen eine zentrale Rolle gespielt und haben einzelne Elemente der SDG stark geprägt. Die Bestrebungen nach Nachhaltigkeit, und die SDG 2030 wären heute eigentlich offizielle Politik der Schweiz. Sie stellen in der gegenwärtigen schweizerischen Aussenpolitik aber nur eine Nebenerscheinung dar. Die Umsetzung dieser Politik ist inzwischen an das Bundesamt für Raumplanung delegiert worden, was einer Stationierung auf einem Stumpen Geleise gleichkommt.

Beide Schulen sind sich einig, dass Aussenpolitik immer stärker mit Innenpolitik verschränkt ist. Was das heisst, wird aber ganz verschieden interpretiert. Die einen sehen vor allem die unmittelbaren, kurzfristigen Interessen, welche sich als innenpolitisch prioritär erweisen. Sie nähern sich einer «Switzerland First» Haltung. Die anderen gehen davon aus, dass der schweizerische Bürger über globale Zusammenhänge informiert sein muss, weil diese auch die schweizerischen Politmechanismen immer mehr beeinflussen. Dabei spielen die zivilgesellschaftlichen Organisationen, insbesondere die Hilfswerke eine zentrale Rolle. Mit ihrer Öffentlichkeitsarbeit, Sensibilisierung und Bildung leisten sie eine strategisch wichtige Aufgabe auch im Interesse des Staates. Sie sind wichtige Brückenbauer zwischen Staat und Basis aber auch zwischen der Realität im Süden und deren Rückkoppelung mit unserer Realität in der Schweiz. Der Wandel zu mehr Nachhaltigkeit und das Erreichen der SDGs wird nur möglich sein, wenn dazu ein politischer Wille vorhanden ist. Das Aufzeigen der Zusammenhänge und der Interdependenzen muss deshalb ein integrierender Bestandteil zeitgemässer internationaler Zusammenarbeit sein.

Wenn nun das EDA mit Unterstützung des Bundesrates die Verwendung von staatlichen Mittel für die Sensibilisierung in der Schweiz verbietet, trägt er den heutigen Anforderungen und den eigenen internationalen Verpflichtungen nicht Rechnung. Das hat schwerwiegende Konsequenzen:

– der Informationsdienst der DEZA wurde ins EDA integriert und ist zum PR -Instrument des Ministeriums geworden, 

– das Bundesamt für Raumplanung kann zu wenig Wirkung erzeugen,

– der Bundesrat meint, die Hilfswerke sollen ihre Spendenmittel verwenden für eine Aufgabe, die der Staat finanzieren sollte,

Dadurch wird die Kritik der OECD bestätigt, dass die schweizerische Regierung ihren Aufgaben nicht nachkommt. Mit dem Beschluss, dass NGOs keine Staatsgelder für Öffentlichkeitarbeit einsetzen dürfen, macht die Regierung einen Schritt hinter die Nachhaltigkeitsziele zurück. Sie erschwert damit die Umsetzung übergeordneter Politiken im Bereich von Klimawandel und Nachhaltigkeit. Ausserdem schafft sie eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung im Vergleich zu Organisationen der Landwirtschaft, der Verteidigung und anderen Bereichen.


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Globalisierung und die Krise der Mittelschicht

Aussenpolitik ist Innenpolitik. Das ist der Slogan der Stunde. In der Schweiz verdanken wir ihn unserem Aussenminister. Er versteht darunter vor allem Vertretung der wirtschaftlichen Interessen im Ausland. Mit seinem Generalsekretär hat er dies durch eine Expertengruppe in einer Vision 2028 beschreiben lassen. Aussenpolitik im Rahmen völkerrechtlicher Verpflichtungen und Multilateralismus in der Bewältigung der grossen Herausforderungen des 21. Jahrhundert hat in dieser Vision wenig Platz. Die Zivilgesellschaft, welche durch Information, Bildungsarbeit und Sensibilisierung für die globalen Herausforderungen und Chancen eine staatspolitische Aufgabe in Politsystem erfüllt, spielt keine Rolle. Im Nachgang zur KVI erteilte derselbe Bundesrat der Zivilgesellschaft gar einen Maulkorb.

Mit der Regierung Biden erhält nun das Zusammenspiel zwischen Aussenpolitik und Innenpolitik eine weitere Dimension. Es geht um die Rolle der Mittelschicht in der amerikanischen Gesellschaft. Namhafte Wissenschaftler weisen seit Jahren darauf hin, dass Neoliberalismus und Globalisierung den Status und die staatstragenden Werte des Mittelstandes unterhöhlt und diese Klasse zum eigentlichen Verlierer der Globalisierung gemacht haben (vgl. Anne Case & Angus Deaton, Deaths of Despair and the Future of Capitalism für die USA. oder: David Goodhart, The Road to Somehwere für UK). Beide zeigen auf, wie die traditionelle Mittelschicht seit den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts an Status und Wertschätzung verloren hat. Damit einher geht eine wirtschaftliche Zurückstufung. Gravierender ist der Substanzverlust von sozialen, kulturellen und politischen d.h. immateriellen Werten, welche das ideologische Rückgrat der westlichen Demokratien darstellen. Case/Deaton dokumentieren dies anhand der Zunahme von Drogensucht, Alkoholismus und Selbstmorden, unter der weissen, männlichen Bevölkerung im Alter zwischen 45 und 65 Jahren in den USA. Da fehlt auch der Fingerzeig auf den politischen Erfolg von Präsident Trump nicht. David Goodhart zeigt, wie die traditionelle Arbeiterschaft und der Mittelstand in England nicht nur Status, sondern auch wirtschaftliches Wohlergehen eingebüsst haben. Er erklärt den Erfolg von UKIP und Brexit weitgehend mit der Frustration der Verlierer der Globalisierung: Die Weltpolitik wird beherrscht durch die neue Elite der «anywheres», die Manager, Berater und Experten, kurz der Kosmopoliten, die Verlierer sind die «somewheres», die Heimatverbundenen, welche das Heil in Populismus, Verschwörungstheorien und kurzfristigen, einfachen Lösungen suchen. Beide Autoren folgern, eine nachhaltige Politik müsse den Interessen der Mittelschicht unbedingt Rechnung tragen, was Korrekturen des Neoliberalismus und der Globalisierung nach sich ziehen würde. In den USA findet diese Beurteilung eine überraschende Einsicht durch die Analyse des Sturms auf das Kapitol vom 6. Januar: Die Stürmer waren keine Hooligans, sondern Leute aus der Mitte der amerikanischen Gesellschaft.

Ein fachlich und politisch gemischtes Team von Experten hat umfangreiche Feldstudien durchgeführt und den Niedergang der amerikanischen Mittelschicht beschrieben. Neu ist nun, dass dieselben Autoren zu den engsten Beratern des neuen amerikanischen Präsidenten gehören. Sie haben 2020 eine Studie publiziert und sind der Überzeugung, die neue amerikanische Aussenpolitik müsse dazu beitragen, die Situation des Mittelstandes zu verbessern (Making U.S. Foreign Policy Work better for the Middle Class. Carnegie Endowment, 2020).

Aufgrund von Feldstudien in drei politisch verschieden ausgerichteten Staaten (Colorado, Nebraska und Ohio) stellen sie fest, dass die Einkommen der traditionellen Mittelschicht seit den 80 er Jahren stagnieren oder gar abgenommen haben. Die Hauptsorge der befragten Bürger ist denn auch ein sicherer Job und ein Einkommen, das ihnen erlauben würde, ein Leben gemäss den Ansprüchen der Mittelschicht zu finanzieren. Eine direkte Verbindung zwischen ihrem Wohlergehen und der Aussenpolitik ihres Landes vermögen sie nicht herzustellen.

Die Situation der Mittelschicht kann nach Ansicht der Autoren nicht durch Aussenpolitik allein verbessert werden. Es braucht mehr Investitionen in Bildung, Qualifizierung der Arbeiterschaft, KMU- Förderung und eine gerechtere Verteilung der Einkommen. Mittelfristig brauchen die USA eine starke und nachhaltige wirtschaftliche Erholung, welche Millionen von Arbeitsplätzen mit mittleren Einkommen schafft und mithilft die amerikanische Geschäftswelt wieder aufzubauen. Die Herausforderung ist, eine internationale Politik zu konzipieren, welche die Schaffung neuer Arbeitsplätze fördert und erlaubt, die Einkommen zu erhöhen. Bis hier sind die Autoren logisch und konsequent. Aber wie soll eine solche Aussenpolitik aussehen, die dem Mittelstand nützt? Sie versuchen aus drei Szenarien, die geeignete Strategie heraus zu filtern: aus der pro-Business und pro-Globalisierung Politik seit den 70er Jahren; aus der nationalistischen America First Politik der Trump Ära und aus der von den Progressiven vertreten Politik des Ausgleichs und des Internationalismus.

Die Empfehlungen werden nun schwammig: Die USA sollten eine Aussenpolitik betreiben, welche die globale Wirtschaftserholung durch multilaterale Kooperation, sowie die Modernisierung und Durchsetzung moderner Handelsinstrumente umfasst. Die amerikanische Wettbewerbsfähigkeit soll erhöht werden. Zusammen mit Massnahmen der Diplomatie, der Verteidigung und Entwicklung soll sich ein kohärentes Paket ergeben: “All dies zusammen ergibt eine umfassende Agenda, welche die amerikanische Aussenpolitik prägt und die Situation der Mittelklasse und von ganz Amerika besser machen wird».

Bis aus diesen Absichten konkrete Vorschläge entstehen, wird noch ein grosses Stück Arbeit zu bewältigen sein. Einige der Vorschläge bedeuten ein Abrücken von Hergebrachtem und eine neue Rolle für den Staat. Es ist nicht sicher, ob die Biden-Regierung den Willen und die Kraft für solche Reformen haben wird.

Der Bedeutungsverlust der Mittelschicht als Folge von Neoliberalismus und Globalisierung ist auch in Europa und der Schweiz ein Phänomen. Als Reaktion sind in praktisch allen westeuropäischen Staaten betont konservativ- nationalistische Bewegungen entstanden. Sie werden als Folge der Corona-Epidemie die Stabilität die liberal-demokratische Ordnung vor neue Herausforderungen stellen.


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Die Tragik Myanmars

Militärputsch in Myanmar. Das Land erleidet 10 Jahre Rückschritt. Das sind die Schlagzeilen.Wir sind alle enttäuscht über die neuesten Entwicklungen. Allerdings, wir müssen uns auch fragen, ob wir nicht über unsere Beurteilung des Landes enttäuscht sein sollten.

Wie kaum ein anderes Land ist Myanmar geprägt durch die Vergangenheit als britische Kolonie. Die Stichworte sind Armee und Buddhismus. Daraus entstanden gewisse Kraftlinien, die das Land bis heute prägen. Zentral in der Frühzeit waren General Aung San und sein Freund U Nu. Aung San hatte während des zweiten Weltkriegs eine Armee aufgebaut, die geleitet von sozialistischen Erfahrungen Chinas für die Unabhängigkeit des Landes kämpfte. Seine Armee bestand ausschliesslich aus ethnischen Bamar, der Hauptethnie Burmas. Die Engländer hatten eine andere Armee ausgebildet, die weitestgehend aus Vertretern der Minderheiten (Chin, Kachim und Karen) bestand. Entgegen den Abmachungen mit der Kolonialmacht wurden die beiden Armeen nicht integriert. Die Armee setzte aus Bamar (Birmanen) zusammen. Er stand den Autonomiebestrebungen der ethnischen Minderheiten negativ gegenüber. Er gewann die ersten Wahlen, welche teilweise boykottiert worden, waren. 1947 wurde er Opfer eines Attentats. Er ist heute der zentrale Nationalheld Burmas. Sein Nachfolger U NU hatte die gleiche militärische Ausbildung in Japan durchlaufen. Er erklärte den Buddhismus zur Staatsreligion. 

Der Buddhismus blieb bis heute das Staatsmerkmal. Er ist das ideologische Bindemittel, das dem Staat und der Gesellschaft den notwendigen Rückhalt verschafft. Er bildet das Rückgrat der Elite, das diese gegen die vielen ethnischen Gruppen, welche in verschiedener Intensität gegen die Dominanz des zentralen Staates gekämpft haben, abgrenzt. Die Rohingyas sind nur das neueste und brutalste Beispiel dafür.

Die Armee ist immer das zentrale Instrument gewesen, welche den Zusammenhalt und die Dominanz der buddhistischen Elite sicherstellte. Seit dem Sturz von U Nu 1962 bestimmte die Armee zusätzlich die wirtschaftliche und politische Entwicklung. Sie verfolgte einen altväterischen «burmesischen Weg des Sozialismus», der 1988 das Land in eine grosse wirtschaftliche, soziale und politische Krise führte. Trotz oberflächlichen Kompromissen gegenüber den rebellierenden Studenten und Mönchen blieb die Armee an der Macht und führte eine chinaähnliche Reform durch: Das Land soll sich kapitalistischer Wirtschaftsform öffnen. Was in China die Parte, ist in Burma die Armee. Seither verfolgt die Armee, eine wirtschaftliche Öffnung, von der vor allem der Regierung nahestehende Oligarchen profitieren. 

Aung San Suu Kyi ist die Tochter des Freiheitshelden Aung San. Sie wurde in Indien ausgebildet, wo ihre Mutter Botschafterin war, hat in England studiert und weilte in England, den USA und Bhutan (mit ihrem britischen Ehemann, einem Tibetologen). Erst 1988 kehrte sie wegen der Krankheit ihrer Mutter nach Burma zurück. Anlässlich der Unruhen hielt sie eine Rede und plädierte für Freiheit und Demokratie, was sie zum Idol der reform- und freiheitsorientierten Kräfte des Landes machte. Bis 2010 verbrachte sie 15 Jahre im Hausarrest. 2015 gewann sie die Parlamentswahlen haushoch, ein Sieg, der in den Wahlen 2020 bestätigt wurde. Mit dem Triumpf ihrer Partei wurde sie die de facto Regierungschefin. Allerdings, die von der Armee erarbeitete neue Verfassung verschaffte dieser weiterhin die Kontrolle im Land. Aung ihrerseits hat sich anschliessend nie für die Freiheiten der Minderheiten eingesetzt und verfolgte damit eine ähnliche Politik wie ihr Vater, dessen geistiges Erbe sie während des Studiums verinnerlicht hatte. Sie hat sich auch nie gegen die Agitation extremistischer Mönche gewehrt.

Die sogenannte Öffnung, welche der Westen nach 2015 in Myanmar sehen wollte, geschah unter denkbar komplizierten Rahmenbedingungen: Eine alles dominierende Armee ohne Rückhalt und Basis in der Bevölkerung. Sie hat sich in Naypidaw in der Mitte des Landes eine neue Hauptstadt gebaut, welche kulturell, wirtschaftlich und sozial isoliert mitten im Niemandsland steht. Diese Hauptstadt symbolisiert gewissermassen die Bigotterie des Regimes: Die Armeeführung hat sich in der neuen Hauptstadt eine geheime, unzugängliche Stadt gebaut, die sie mit Autobahnen und nächtlicher Beleuchtung alle paar Kilometer mit einem Ministerium verbindet. Diese isolierten Gebäude dienen als Büro, Wohnung und (Selbst-) Verpflegungsstätte isolierter Beamten, die übers Wochenende mit dem Nachtzug versuchen, ihre Familien in Yangoon zu besuchen.

2015 verfügt das Land über keine modernen Verwaltungs-und Förderstrukturen. Für sogenannte Entwicklungsprojekte fehlt die Infrastruktur und Erfahrung. Die Beamten haben keine Ahnung, was die Leute auf dem Land benötigen, und die Zivilgesellschaft ist praktisch inexistent. Mit der Öffnung beginnt der Tourismus zu boomen und das Land wird zur Attraktion der internationalen Zusammenarbeit. Die neuen Entwicklungen, wie Fluggesellschaften und die Hotellerie, werden monopolistisch von einigen Armeefreunden kontrolliert. Die Armee bereitet sich auf eine weitere Öffnung vor und versucht Generäle zu zivilen Managern und Diplomaten weiss zu waschen.

Diesem System steht eine Partei gegenüber, welche von Aung San Suu Kyi, einer Galionsfigur geführt wird, welche nie in der Realität des Landes stand. Die Partei ist abhängig vom Charisma ihrer Führerin und verfügt über keine klaren Strukturen im Land. Bis 2020 hatte sie kaum die Chance, sich international wirkungsvoll zu vernetzen.

Und was tun wir? Ohne minimale Kenntnisse des Landes sieht die Schweiz nach 2015 eine grosse Chance sich als Champion der Öffnung zu präsentieren. Unser Aussenministerium, das inzwischen die internationale Zusammenarbeit in die Interessen unserer Aussenpolitik eingebunden hat, lädt eine Reihe von Ministern zum Seminar an den Genfer See ein und unser Staatssekretär verspricht öffentlich, die Schweiz wolle nun jährlich bis zu 50 Millionen Franken in die Entwicklung des Landes investieren.

Die Rieseninvestitionen fliessen kaum. Glücklicherweise verfügt das EDA aus der guten alten Zeit der DEZA noch über das Instrument der Koordinationsbüros. Sie sind zwar in die Botschaften integriert und ihre Fachleute sind als Entwicklungsdiplomaten umbenannt. Sie sich bemühen die Absichten der Stabsstellen in Bern in operationell machbare Vorhaben zu formen.

Nach dem Staatsstreich protestiert der Westen, erklärt die Entwicklung als inakzeptabel. Die Beliebtheit von Aung San Suu Kyi erreicht neue Höhen im Ausland aber vermutlich auch in der burmesischen Bevölkerung. Ändern wird sich kaum etwas. Die Generäle kennen ihr Umfeld. Sie bewegen sich parallel zur Situation in China und können sich dessen Unterstützung sicher sein. Eine Neuorientierung wird möglicherweise erst möglich, wenn die politische zu einer wirtschaftlichen Krise wird. Wir müssen uns aber bewusst sein, dass die strukturellen Probleme, welche das Land belasten, auch in einem Neuen Myanmar/Burma dominieren werden. Sie werden auch von einer Aung San Suu Kyi nicht verändert.


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Quo Vadis Föderalismus

Die Volksabstimmung über die Konzernverantwortungsinitiative mit einem Volksmehr gegen ein Ständemehr hat die Rolle des Föderalismus vorübergehend zu einem tagepolitischen Thema gemacht. Ist der heutige Föderalismus noch zeitgemäss? Ich möchte dieser Frage anhand von drei Geschäften verschiedener Tragweite nachgehen: Es geht um die Bewältigung der Pandemie, die Vernehmlassung zum neuen Rahmenkredit für die Internationale Zusammenarbeit von 2019, und die Strategie für nachhaltige Entwicklung, welche gegenwärtig die Vernehmlassung durchläuft.

  • Die Bekämpfung der Pandemie, COVID-19, zeigt ein sehr zwiespältiges Bild. Die zweite Welle ist zu einem Kompetenzgerangel zwischen Bund und Kantonen verkommen. Klare Entscheide sind persönlichen Rivalitäten, der Profilierungssucht der Parteien und der Einflussnahme von Interessenverbänden zum Opfer gefallen. Unsere classe politique hat dabei keinen guten Eindruck gemacht. Vor allem bürgerliche Parteien haben die Pandemie zum Vorwand einer ordnungspolitischen Diskussion gebraucht und damit die Bekämpfung der Pandemie geschwächt. Im Falle einer Pandemie braucht es offenbar eine klare zentrale Führung. Jedenfalls hat sich der Föderalismus als verwirrend und teilweise wenig zielführend erwiesen.
  • Die Vernehmlassung zur Botschaft für einen neuen Rahmenkredit der IZA ist von besonderem Interesse, weil zu diesem Thema erstmals eine solche Übung durchgeführt wurde. Über 230 Stellungnahmen sind eingegangen. Auffällig war das starke Engagement der Zivilgesellschaft. Hier interessiert die Stellungnahme der Kantone. Die markantesten Kennzeichen waren einerseits die umfassenden und sorgfältigen Stellungnahmen der städtischen Kantone und der Romandie und andererseits die eher nichtssagenden Einzeiler- Antworten der kleinen und ländlichen Kantone. Fazit: Die kleinen Kantone verfügen in einem solchen Sachgeschäft nicht über das benötigte Fachpersonal. Damit entsteht die Gefahr, dass bei komplexen internationalen Fragen-und diese werden in Zukunft zunehmen- die kleinen Kantone praktisch keine Stimme haben. Das Gewicht der grossen Kantone wird überproportional wachsen.
  • Bei der Strategie für nachhaltige Entwicklung, die vom Bundesrat zur Vernehmlassung geschickt wurde, fällt auf, dass zwei Bundesämter, das Bundesamt für Raumplanung (ARE) und die Direktion für internationale Zusammenarbeit (DEZA), mit der Koordination betraut werden, welche innenpolitisch wenig Hebelwirkung haben. In unserem Zusammenhang ist von Bedeutung, dass sich die Strategie praktisch ausschliesslich auf die Kompetenzbereiche des Bundes beschränkt. Kantone und Gemeinden werden lediglich ermutigt, sich für die Ziele der Nachhaltigkeit einzusetzen. Dabei ist eigentlich klar, dass klare Massnahmen von Kantonen und Gemeinden notwendig sind. In einem zentralen Geschäft, das für die Erreichung der Klimaziele von entscheidender Bedeutung ist, bleiben die Kantone Randerscheinungen. 

Ich gehe davon aus, dass der Föderalismus weiterhin eine tragende Säule unseres Staatsgefüges darstellt. Die drei Beispiele zeigen aber, dass die gegenwärtig gültigen Mechanismen revidiert werden müssen.

  • Die Pandemie steht stellvertretend für dynamische internationale Krisen und Entwicklungen, welche wir in Zukunft vermehrt meistern müssen. Je dynamischer und überraschender solche Krisen sind, desto mehr wird eine zentrale Führung notwendig sein. In solchen Situationen werden die Kantone vorübergehend zu Vollzugsorganen.
  • Die Vernehmlassung zur IZA zeigt, dass kleine Kantone personell überfordert sind. Andererseits wird der Handlungsbedarf auf Grund globaler Problemstellungen und internationalen Zusammenhängen immer wichtiger. Wichtige innenpolitische Instrumente wie Föderalismus, Referendum und Volksinitiative werden geschwächt. Es stellt sich die Frage, ob kleine Kantone sich nicht regional organisieren und ihre Ressourcen zusammenlegen sollten, damit sie im eidgenössischen Meinungsbildungsprozess genügend Gewicht haben.
  • Die Nachhaltigkeitsziele von 2030 sind vom EDA international geprägt und verhandelt worden. Sie stellen ein typisches Beispiel von einem globalen Anliegen dar, welches von oben herab oder noch schlimmer, von aussen formuliert wurde. Die politische Akzeptanz in Kantonen und Gemeinden ist bescheiden. Die Basis ist schlecht informiert und die zivilgesellschaftlichen Organisationen, normalerweise Pioniere für die innenpolitischen Willensbildung, wurden zu wenig eigebunden.

Die Schweiz ist vor allem wirtschaftlich globalisiert. Sie wird immer mehr auf internationale Entwicklungen reagieren müssen. Die Herausforderung wird nicht sein, ob die Zentralregierung federführend sein muss, sondern, wie es möglich sein wird, dass die Kantone und nachgegliederte Strukturen ihren Einfluss wahrnehmen und ihr Interesse vertreten können. Der Föderalismus müsste dafür sorgen, dass trotz Gewichtsverlagerungen zum Bund, die Verwaltung nicht immer schwergewichtiger wird. Dazu braucht es eine Verwesentlichung unseres Föderalismus: er muss flexibler und effizienter werden.  

Zusammenfassend sollten folgende Konklusionen diskutiert werden:

  • Bei Pandemien und anderen ausserordentlichen Entwicklungen muss der Bund eine klare Führungsrolle übernehmen. 
  • Die Gegengewichte gegen eine wachsende Zentralgewalt müssen aber gestärkt werden. Dies betrifft die Kantone, Gemeinden und zivilgesellschaftliche Organisationen.
  • Kleine Kantone sollten ihre Ressourcen zusammenlegen, damit sie politisch und fachlich genügend Gewicht erzeugen können.
  • Die Konferenz der Regierungspräsidenten der Kantone und die Fachdirektorenkonferenz sollten verstärkt werden. Sie brauchen eine intensivere Periodizität und professionelle Sekretariate.
  • Der wachsende Gewichtsunterschied zwischen großen und kleinen Kantonen ist ungesund. Größerer Kantone sollten ihre Sitzzahl im Ständerat erhöhen können. Das Ständemehr sollte proportional zur Anzahl Ständeräte gewichtet werden. 
  • Die Unterschriftenzahlen für Referendum und Volksinitiative müssten erhöht werden.


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Wird der Rachefeldzug gegen die Hilfswerke zum Bumerang?

Kaum ist die Abstimmung über die Konzernverantwortungsintiative vorbei, verschickt Bundesrat Cassis einen verhängnisvollen Brief an die Hilfswerke: Programmbeiträge des Bundes dürfen in Zukunft nicht für Information und Bildung in der Schweiz verwendet werden. Ähnliches streben Nationalrat Portmann mit einer Motion und Frau Nationalrätin Schneider -Schneiter mit einem Postulat an.

Was ist geschehen? Die Mehrheit der Organisationen der Zivilgesellschaft haben die Initiative zur Konzernverantwortungsinitiative unterstützt. Sie forderten die Berücksichtigung der Menschenrechte, Einsatz für gute Regierungsführung und Kampf gegen die Korruption. Es handelt sich um Anliegen, welche die Schweiz in ihren Policy Papers und in internationalen Organisationen vertritt. Sie gehören zum internationalen Standard. Mit dem Maulkorb, den unser Aussenminister, unterstützt durch rechtsbürgerliche Kreise, nun den Hilfswerken verpasst, erinnert an Praktiken, welche wir von autoritären Staaten wie Ungarn, China und Indien kennen. In populistischer Manier wurde aus diesen Kreisen erklärt die Hilfswerke, wollten mit ihrer Unterstützung der Initiative nur ihre eigenen Interessen bedienen. Es ist eine Behauptung, die in der Hitze des Abstimmungskampfes verständlich ist. Wenn diese nun als Basis für parlamentarische Vorstösse verwendet wird, müsste die Behauptung mit Fakten belegt werden, sonst gehört sie zur Kategorie der Fake News.

Die Initiative von Bundesrat Cassis ist kurzfristig vermutlich ein Schlag ins Wasser. Langfristig bedeutet sie aber einen Schlag gegen einen Grundpfeiler der schweizerischen Demokratie.

Zuerst zum unmittelbar Praktischen: Es zeugt von schlechter Kenntnis der Zivilgesellschaft und der Hilfswerke, wenn man glaubt, der Maulkorb würde kurzfristig viel verändern. Einerseits haben sich die Entwicklungshilfswerke aus Rücksicht auf ihren Hauptgeldgeber sehr zurückhaltend verhalten. Ja, sogar zivilstaatliche Organisationen waren enttäuscht über deren beschränktem Engagement. Der Schritt von Bundesrar Cassis wird möglicherweise eine Solidaritätswelle auslösen, welche mehr Mittel zu den Hilfswerken spülen wird als die DEZA nun zurückhalten will. Andererseits ist es Irrtum zu meinen, dass die Finanzmittel für die Kampagne durch Bundesbeiträge ermöglicht wurden. Es handelte sich weitestgehend um Spenden der Bürger. Der Maulkorb wird da wenig verändern, ja, man darf annehmen, dass die Hilfswerke aufgefordert werden, mehr in Bildung und Information in der Schweiz einzusetzen.

Die Initiative von Bundesrat Cassis und seiner Assoziierten hat aber langfristig dramatische Folgen. Die Zivilgesellschaft mit ihren Initiativen und der Freiwilligenarbeit gehören zur DNA der schweizerischen Demokratie. Hier entstehen Ideen und Projekte, welche später in die offiziellen Organe des Staates fliessen. Die schweizerische Demokratie lebt von dieser Freiheit! Ein gutes Beispiel sind gerade die Entwicklungshilfswerke: Sie haben in den 50er Jahren dem Schweizerbürger die aussereuropäischen Gebiete näher gebracht. Die Bundesräte Petitpierre und Wahlen betrachteten solche Initiativen als zentrales Instrument für eine Öffnung der Schweiz. Aus dieser Pionierzeit ist eine fruchtbare und komplementäre Zusammenarbeit zwischen Staat und Zivilgesellschaft entstanden. Sie hat unter anderem dazu geführt, dass die Schweiz zum international anerkannten Champion für die Förderung von zivilgesellschaftlichen Organisationen in strukturschwachen Ländern wurde: Man ist sich  zwischen Bund und Hilfswerken einig über strategische Ziele, braucht aber in der Praxis unterschiedliche Instrumente. Diese Zusammenarbeit wurde erst mit dem neuesten Rahmenkredit in Frage gestellt. Die Zielsetzung ist nach wie vor dieselbe, mit dem Unterschied, dass beim Bund die wirtschaftlichen Interessen überwiegen.

Die Hilfswerke hatten jeweils auch eine innenpolitische Rolle: Sie lancierten Petitionen zur Verhinderung der Beschneidung von IZA Mitteln. 1991 erreichten sie sogar eine solidarische Aufstockung zum 700-jährigen Jubiläum der Schweiz. Die Zivilgesellschaft diente eigentlich immer als innenpolitische Speerspitze für mehr Solidarität und für den Kampf gegen die Armut. Eine solche Rolle wird nun in Frage gestellt.

Der Maulkorb von Bundesrat Cassis hat eine weitere Dimension: Sie suggeriert, dass das Volksmehr in der Abstimmung nur zustande kam wegen der Rolle der Hilfswerke. Der Aussenminister setzt sich damit über die demokratische Willensbekundung der Bevölkerung hinweg. Dadurch wird nun ein gefährlicher Graben geöffnet: Hier der Staat, der einseitig die Interessen wirtschaftlicher Kreise vertritt und da die Mehrheit der Bevölkerung. Damit wird ein Spaltpilz gezüchtet, der sich verhängnisvoll für unsere Demokratie auswirken wird.

Es wäre zu begrüssen, wenn unser Aussenminister und die ParlamentarierInnen Portmann und Schneider-Schneiter sich noch einmal überlegen würden, ob es sich lohnt, wegen der für sie nicht gerade glücklich verlaufenen Abstimmung soviel staatspolitisches Geschirr zu zerschlagen.


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In der Pandemie verludert der schweizerische Föderalismus

Es ist gelinde gesagt erstaunlich, wie kühl unsere politische Elite die dramatischen Todesraten der Pandemie akzeptiert. Stellen wir uns vor, täglich stürzt in der Schweiz eine voll besetzte Swiss Maschine ab und keiner schaut hin. »Das ist eine Sache der Güterabwägung, ich kann damit leben», sagt dazu unser Finanzminister. «Ich kenne viele Senioren, die lieber ihr Leben beenden als noch einmal in Isolation zu gehen», so die Fraktionschefin einer Partei irgendwo in der Mitte.

Die Pandemie ist für die Schweiz nicht ein Phänomen, das klare Kriterien zu befolgen hat. Sie ist eine Frage der Güterabwägung. Damit ist nicht mehr das Richtige und Notwendige, sondern das politisch Mögliche entscheidend. Unsere Pandemiebekämpfung in der zweiten Welle ist nicht mehr geleitet von Kriterien, wie die Seuche am effizientesten bekämpft werden kann, sondern von der Frage, wie können die politischen und wirtschaftlichen Interessen am besten ausgeglichen werden. Damit sind wir im politischen Alltag der Schweiz gelandet. Unser politisches System mit Föderalismus und direkter Demokratie ist ein wunderbares System des Interessenausgleichs. Es hat uns Stabilität und schliesslich auch Wohlstand gebracht. Ist es auch ein System, eine Pandemie zu bekämpfen?

In der ersten Welle hatten wir eine klare Führung des Bundesrates, der Föderalismus wurde zugunsten rascher und überzeugender Massnahmen zurückgedrängt. Natürlich sind dabei auch Fehler gemacht worden. Es gab aber eine klare Linie, und das Volk und die wirtschaftlichen Akteure haben sich an diese gehalten. Eben nach dem Motto, eine besondere Situation verlangt besondere Massnahmen.

Die zweite Welle hat uns zu einem globalen Champion der Pandemie gemacht: kaum jemand hat höhere Todesfallziffern und Infizierte pro 100’000 Einwohnern zu vermelden als die Schweiz. In der Mitte Europas sind wir wieder einmal eine Insel. Alle unsere Nachbarn haben konsequenter gehandelt, obwohl sie geringere Fallzahlen vermelden. Unsere Massnahmen sind sorgfältig austariert: Schon der Bundesrat entscheidet nicht aufgrund der Pandemielage, sondern auf gemäss den politische Mehrheitsverhältnissen. Jede Partei formuliert nun ihre Position nicht gemäss objektiven Notwendigkeiten, sondern lässt ihr politisches Glaubensbekenntnis spielen. Die Freisinnigen verlassen sich auf den «liberalen Kompass» der Bürger (NZZ) und singen das hohe Lied der Eigenverantwortung. Die SVP kritisiert die Massnahmen des Bundesrates, bis die übrigen Parteien dasselbe tun, nun verteidigt die Partei das vorsichtige Vorgehen das Bunderates. Die Sozialdemokraten profilieren sich in der Krise wie üblich als staatsgläubige Partei und punkten mit wirtschaftlichen Stützungsmassnahmen. Sie setzen sich damit in Gegensatz zu den neoliberalen Parteien am anderen politischen Pol. Besonders in Szene setzen können sich nun die Interessenvertreter. Der Gewerbeverband und Gastronomie Suisse aber auch Economie Suisse. Ihre Kritik ist einhellig: Der Bundesrat handelt widersprüchlich und natürlich berücksichtigt er die partikularen Interessen zu wenig.

Und wie reagiert der Bürger? Die grosse Mehrheit erwartet klare Entscheide. Das tatsächlich widersprüchliche Verhalten der Entscheidungsträger fördert aber auch ganz klar die Schlaumeierei. Zug erweist sich als mutig: es schliesst sämtliche Skianlagen, nur, wer geht schon nach Zug für den Skisport. Noch mutiger ist St.Gallen. Die Regierung schliesst tatsächlich ihre Anlagen und der Regierungsrat fordert seine Ski Fans auf, ja nicht ins Bündnerland zu fahren, genau, was diese jedoch tun werden. Den Vogel abgeschossen hat aber Zürich, in dem es freundeidgenössisch fordert, alle Skigebiete sollen geschlossen werden. Das heisst, wer Skifahren will, kann dies selbstverständlich in seinen beliebten Destinationen tun. Wer die Restaurantschliessung umgehen will, weicht in den Nachbarkanton aus und fürs Shoppen sind ja die kantonalen Grenzen offen. Unverständnis und Kopfschütteln über soviel Widersprüchlichkeit prägen nun die Haltung der Bürger.

Die Konsequenz ist Unsicherheit und abnehmendes Vertrauen in die Entscheidungsträger. Das ist Gift für die effiziente Bekämpfung der Pandemie. Es ist aber die logische Folge davon, dass das politische Spiel des Güterabwägens auf die Bekämpfung der Pandemie übertragen wird. Dabei entsteht immer viel Raum für partikulare Einflussnahme und Eigeninteressen. Die Moral und die Gesundheit kommen bestenfalls im zweiten oder dritten Rang. Vor lauter Interessenausgleich und Güterabwägung geht aber nicht nur Effizienz, sondern auch Glaubwürdigkeit verloren. Vergeblich versuchen wir nach Verantwortlichen mit Zivilcourage, die das Gesamtinteresse vor die Partei- und Partikularinteressen stellen. Da es wenig hilfreich, wenn «Economie Suisse» die Massnahmen des Bundesrates zwar unterstützt, aber gleichzeitig eine klare Langfriststrategie fordert. Der Bundesrat kann diese aber ebenso wenig liefern, wie die Regierung des Kantons Zürich oder der Gewerbeverband: Die unmittelbaren und widersprüchlichen Partikularinteressen verunmöglichen klare Entscheide.

Was bleibt ist Verunsicherung in der Bevölkerung, ineffiziente Bekämpfung der Pandemie und ein Überwiegen der unmittelbaren materiellen Interessen. 

Jeden Tag verlieren wir eine volle Swiss Maschine voller Passagiere und keiner schaut hin. Es ist eine Frage der Zeit, bis die Politiker die Frage beantworten müssen, weshalb sie die vielen Bürger vorzeitig haben sterben lassen. Die Antwort kann nicht sein, die Senioren wären ja sowieso in einigen Jahren gestorben, sondern: Sie sind gestorben, weil wir nicht konsequent gehandelt und unsere Eigeninteressen vorangestellt haben. Sie sind gestorben, weil unsere Entscheidungsträger es so gewollt haben.


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Nach den Wahlen in den USA: Die Demokraten und die Schweiz

Nach dem Sieg von Joe Biden stellen wir uns die Frage, was die neue Regierung für die Schweiz bringen wird. Eigentlich müssten wir vorgewarnt sein: Es sind die Demokraten, welche nach Kriegsende von der Schweiz Reparationszahlungen forderten. Erst der Kalte Krieg liess 1948 das Thema vorübergehend in den Schubladen verschwinden. Nach dem Ende des Kalten Krieges, waren es dieselben politischen Kreise und vor allem Beamte im Finanzministerium, die eine Rückzahlung der nachrichtenlosen Vermögen forderten. 

Haben wir neue Probleme zu erwarten? Demokraten und Republikaner bestraften schweizerische Banken, welche amerikanischen Bürgern verhalfen, Steuern zu umgehen. Die Währungspolitik der Nationalbank kann leicht ins Zentrum des Interesses der amerikanischen Behörden geraten. Wechselkursmanipulation ist das Stichwort. Die Besteuerung international tätiger Unternehmen mit Sitz in der Schweiz ist ein weiterer Knackpunkt. Allerdings kommt das Ungemach eher von der OECD. Es gibt meiner Meinung eine rote Linie in der amerikanischen Aussenpolitik auch gegenüber der Schweiz: Entscheidend sind die amerikanischen Interessen. Recht und Macht können sich da leicht vermischen. 

Mindestens das Atmosphärische wird mit dem Regimewechsel aufheitern. Unter der Trump Regierung konnten wir neben schlechten Momenten auch gute erleben. Ein Höhepunkt war da vielleicht der Besuch von Bundepräsident Maurer. Allerdings wurde kaum etwas Konkretes erreicht und bis heute bleibt unklar, was Präsident Trump mit dieser Einladung bezweckte. Eigentlich hat die trumpsche Wirtschaftspolitik mit weniger Steuerbelastung für Unternehmen, Rückbau der Regelungsdichte für die Industrie und die aktive Nutzung von Schlupflöchern der schweizerischen Exportindustrie gut gefallen. Die neue Regierung wird Umwelt, Menschenrechte und Multilateralismus wieder mehr ins Zentrum rücken und kommt damit den Europäern und der Schweiz entgegen. Das wird die Stimmung heben, aber wichtige Dossiers aus Schweizer Sicht, wie das Freihandelsabkommen, werden kaum Priorität erhalten.

Wichtig für uns ist, dass wir die Konstanten im Auge behalten: Die Zukunft wird bestimmt durch das Verhältnis zu China. Die Pazifikregion ist der Fokus amerikanischer Interessen. Der Atlantik und damit die NATO und Europa werden an Bedeutung weiterhin verlieren. Wirtschaftspolitisch werden der freie Handel und die globalisierte Wirtschaft durch eine Betonung des nationalen Marktes an Gewicht verlieren. Innenpolitisch wird die isolationistische Welle kaum abflachen. Die Globalisierung wird wohl teilweise zurückgebaut, was die Schweiz als Hauptgewinner der Globalisierung schmerzen wird. 

Geopolitisch gesehen wird Europa mehr Eigenverantwortung tragen müssen. Das Verhältnis zu Russland, die Bürgerkriegssituationen im Mittleren Osten und die zunehmende Unsicherheit in den Maghreb Staaten sowie der wachsende demographische Druck in Afrika sind Herausforderungen, bei denen die USA bestenfalls Schützenhilfe leisten werden. Wirtschaftspolitisch wird sich Europa der Forderung nach mehr Unabhängigkeit von China und damit eine Korrektur der Globalisierung stellen müssen. Diese Aufgaben dürften die EU als grösster europäischer Block überfordern. Zu gross sind innenpolitische Unsicherheiten und divergierende Interessen unter den Mitgliedern. Strategisch gesehen wird Europa als Ganzes mehr Gewicht auf gemeinsame militärische Zusammenarbeit und einen koordinierten Grenzschutz legen müssen. Die vier Grundfreiheiten müssten neu überdacht werden. Damit stellt sich die Frage nach der zukünftigen Organisation der EU. Der administrative Moloch in Brüssel muss abgebaut und den Mitgliedern mehr Freiheit in Handel und Migration überlassen werden. Die Idee einer Gesundheitsunion, die gegenwärtig diskutiert wird, ist eine Fiktion, die bestenfalls die zentrale Verwaltung in Brüssel noch vergrössern wird. 

Vielleicht wird sich eine Dreiteilung der Union aufdrängen: die Mittelmeerländer, Osteuropa/Balkan und Nordeuropa. Die Mittelmeerländer und Osteuropa haben alle haben andere innenpolitische Voraussetzungen als Nordeuropa. Dies betrifft nicht nur die wirtschaftliche Kraft, sondern auch die eigene kulturelle Tradition, insbesondere die Haltung gegenüber Gouvernanz und demographischen Fragen. Ein Europa mit verschiedenen Geschwindigkeiten könnte auch eine Voraussetzung sein, Teile der Globalisierung zurückzubauen, resp. in Produktionsstätten im Süden Europas zu investieren und damit die Abhängigkeit von der chinesischen Produktion einzuschränken.

Und was bedeutet dies für die Schweiz? Die Verteidigung der eigenen Souveränität und die Relativierung des Einflusses der Grossmächte verlangen von der Schweiz eine vermehrte militärische Kooperation in Europa. Im gleichen Sinne müssen europäische Interessen beispielsweise um das Mittelmeer und die Migration aus Subsahara Afrika nicht nur koordiniert, sondern eben auch gemeinsam angegangen werden. Die Lehren aus der Pandemie fordern für die Schweiz mehr und nicht weniger Europa. Die EU müsste dabei eine entscheidende Rolle spielen. Allerdings braucht diese dazu die Kraft einer dramatischen internen Reorganisation. Der politische Wille dazu ist nicht sichtbar.


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Covid-19: Weshalb sind die ostasiatischen Länder erfolgreicher als der Rest der Welt?

Die fortgeschrittene Digitalisierung, frühere Erfahrungen mit Pandemien und der autoritäre Staat werden als Gründe für den Erfolg der asiatischen Staaten angeführt. Etwas verkürzt ist dann die Folgerung: Wir müssen rascher digitalisieren.

Es ist gefährlich das Problem auf eine technologische Ebene zu reduzieren. Es ist ja doch so: Auch wenn wir noch schneller digitalisieren, wird die Anwendung der neuen Technologie auf Widerstand stossen. Es geht darum die Privatsphäre zu schützen, die Freiheit des Individuums. Weder in China noch in Korea oder Singapur ist ein solcher Widerstand zu erwarten. Deshalb ist eine praktische Umsetzung technologischer Erneuerungen bedeutend einfacher.

Der Unterschied für die erfolgreichen ostasiatischen Staaten ist nicht jedoch einfach technologisch oder organisatorisch begründet. Der Unterschied hat mit Kultur und dem Wertsystem der Gesellschaften zu tun: wie wird der Staat von den Bürgern wahrgenommen, wie steht es mit der gesellschaftlichen Akzeptanz von staatlichen Bestimmungen und was erwartet der Bürger und die Bürgerin vom Staat?

Hier besteht ein grundsätzlicher Unterschied zwischen der westlich liberalen Staatsauffassung mit der Rolle des Individuums und der Situation in Ostasien. 

Wir haben die Aufklärung erlebt. Die Erklärung der Menschenrechte ist ein fester Bestandteil unseres kulturellen Erbes. Mit der Gründung der UNO ist es den siegreichen Westmächten gelungen, diese Werthaltung als globale Richtlinie zu verankern und die EU ist gegründet auf einem Fundament der Wertegemeinschaft geprägt durch Demokratie, Gleichberechtigung und Rechtstaatlichkeit. Der wirtschaftliche Wohlstand seit dem 2. Weltkrieg führte unter der Leitung des Pioniers USA zu einer Verstärkung der Haltung, welche das Recht des Individuums ins Zentrum stellt. Der neoliberale Kapitalismus hat diese Grundhaltung im Wirtschaftsgebaren des Westens verstärkt und hat die Eigenverantwortung des Individuums zum Mantra gemacht. Wir glauben an die Selbstbestimmung und die Eigenverantwortung des Einzelnen. Was gemeinschaftlich organisiert wird, sei es auf Ebene der Gemeinde, des Kantons oder gar des Bundes wird als «staatlich» diffamiert. In diesem Sinne haben wir ein staatliches Radio und Fernsehen, staatliche Schulen und ein staatliches Gesundheitswesen. Als Gegenpol wir der schwache Staat, tiefe Steuern und Abbau des Service publik gefordert.

Das hohe Lied der Selbstverantwortung soll uns helfen den Weg durch die Pandemie Führern. Die NZZ appelliert an den «liberalen Kompass» in uns, der uns leiten wird und sogar der Bundesrat hält in seinem Vorschlag für die Strategie der Nachhaltigkeit die Selbstbestimmung des Einzelnen als Grundlage für nachhaltige Entwicklung fest! Der Individualismus wird gefeiert als Lösung aller Dinge. Es geht soweit, dass Maskenpflichttragen in der Pandemie als gravierender Eingriff in die individuelle Freiheit gesehen wird.

Die ostasiatischen Staaten haben keine Aufklärung erlebt. Der Staat ist gesellschaftlich kulturell und wirtschaftlich die Autorität, welche Wohlstand schafft und dem Individuum Rahmenbedingungen schafft. Die Einordnung des Einzelnen in das Ganze vertreten durch den Staat ist selbstverständlich. Dieser kulturelle Unterschied mit den politischen, sozialen und wirtschaftlichen Konsequenzen dürfte einer der Hauptgründe sein für das erfolgreiche Bestehen in einer Pandemie: Was der Staat befiehlt wird befolgt oder vom Staat sanktioniert.

Das asiatische Modell ist für uns nicht erstrebenswert und dürfte kaum den Weg aufzeigen, den wir befolgen wollen. Trotzdem liegt gerade hier ein Kern von Lernerfahrung. Wir müssen einsehen, dass unsere Entwicklung mit der Globalisierung und Neoliberalismus uns in Richtung unkontrollierten Kapitalismus und rücksichtslosen Individualismus drängt. Wachsende Ungleichheit in der westlichen Gesellschaft und im Aufmucken gegen unsere liberalen Werte sind die Folgen. Wir müssen auch sehen, dass die Herausforderungen de 21. Jahrhunderts von Klimawandel, Ressourcen Nutzung bis Bekämpfung von Armut und Pandemien nach internationaler Zusammenarbeit ruft und staatliche, verbindliche Regelungen notwendig macht. Wir können zwar das Hohelied der Selbstverantwortung und Selbstbestimmung singen, müssen aber einsehen, dass die Problembewältigung gemeinschaftliches Vorgehen und eine aktive Rolle des Staates notwendig machen. Die Frage ist heute nicht einfach weniger oder mehr Staat. Es wird sein: wie können wir individuelle Rechte und unser kulturelles und politisches Wertsystem weiterentwickeln in einer Situation, wo der Staat eine aktivere Rolle spielen muss.

Die zentrale Herausforderung wird nicht sein, wie rasch wir digitalisieren, sondern, wie weit wir die freie Marktwirtschaft als einer der Grundmotoren unseres materiellen Wohlstandes verändern, damit eine zukunftsorientierte und nachhaltige Entwicklung möglich wird.


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Wahlen in Myanmar und die Schweiz

Im ehemaligen Burma fanden Wahlen statt. Die Siegerin Aung San Suu Kyii stand schon vor dem Wahlausgang fest. Das Resultat war weniger brillant sein als vor vier Jahren. 

Wir erinnern uns 2016 stand Aung da als grosse Siegerin und als Symbol für den politischen und sozialen Wandel im Lande. Die politische Schweiz, vor allem das EDA war begeistert und wollte bei dieser Öffnung dabei sein und die Schweiz in der neuen Welt Myanmars optimal positionieren. Herr Rossier, Staatssekretär, versprach Myanmar jährlich 50 Millionen Schweizer Franken an Entwicklungshilfe und das EDA lud einige Minister zu einer Tagung an den Genfer See ein.

Nun, was ist geschehen mit dem Wandel?  Wir erlebten das Auftreten der radikal- nationalistischen Buddhisten, den Genozid an den Rohingya, und keinen Wandel! Die Freiheitsheldin Aung verlor ihren Glanz: sie hat das Vorgehen der Armee verteidigt und sich von den radikalen Buddhisten kaum distanziert. Wandel im Sinne einer Öffnung hat kaum stattgefunden.

In einem Blogg 2016 habe ich vor zu grossen Erwartungen gewarnt und grundlegende Zweifel am Vorgehen des EDA formuliert. Das Problem war, dass die schweizerische Haltung nicht auf Grund einer seriösen Analyse und von Lokalkenntnis formuliert wurde. Sie entsprach viel mehr einem Wunschdenken von Beamten. Man sah Myanmar vor einer neuen Zukunft, an der man mitwirken wollte. Dass Aung sich gegen die Armee nicht durchsetzen konnte, ja dass sie in zentralen Punkten, gerade was die Integration der Minderheiten betrifft die gleiche Haltung vertrat wie ihr Vater, der Nationalheld Burmas, und die Armee, war eigentlich bekannt.

Übrigens, die CHF 50 Millionen pro Jahr wurden nie ausgegeben. Die verantwortliche DEZA verfügte in ihrem Büro in Yangoon noch über genügend qualifizierte Kräfte, welche ein Auge   für das real Mögliche hatten. Ob dies heute noch möglich wäre, ist fraglich. Seit der Reorganisation 2008 haben sich die Rahmenbedingungen für die DEZA kontinuierlich verschlechtert. Entscheidend sind nicht mehr Lokalkenntnisse und Professionalität. Wir haben heute den dritten Aussenminister seit der REO. Jeder hat die Entscheidungskompetenzen näher an sich herangezogen. Die Ausrichtung der DEZA erfolgt nun auf Grund kurzfristigen Opportunitäten und der innenpolitischen Situation. Die Mitarbeiter der DEZA sind unter Burkhalter zu Entwicklungsdiplomaten mutiert und arbeiten unter Cassis an der Integration der wirtschaftlichen Interessen in die Internationale Zusammenarbeit. Das kritische Hinterfragen, die zuweilen kleinliche, aber notwendige Analyse hat dabei kaum mehr Platz. Stand heute, wäre die DEZA kaum mehr in der Lage Fehleinschätzungen des EDA zu korrigieren.


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Haben die Autoren der Vision 2028 die aussenpolitische Entwicklung richtig vermessen?

 Gehen wir von den Entwicklungen der letzten 30 Jahre aus und extrapolieren diese Veränderungen für die kommenden zehn Jahre, stellt sich die Frage, ob die Experten des Aussenministeriums die Zukunftsperspektiven und ihre Treiber richtig vermessen haben. Klimaveränderungen, technologische Entwicklung aber insbesondere die geopolitischen Veränderungen scheinen in ihrem Bericht unterschätzt zu sein.

Die Autoren analysieren richtig, dass die rasche Globalisierung Verteidigungsreaktionen ausgelöst hat. Die Werte Liberalismus, Multilateralismus und Demokratie haben gerade bei der jungen Generation tatsächlich an Vertrauen und Glaubwürdigkeit verloren. Der wachsende Nationalismus ist nicht nur ein vorübergehendes Phänomen, sondern hat gerade in den USA tiefere Wurzeln. Präsident Trump ist diesbezüglich ein guter Vermesser seiner Basis. Praktisch in allen westlichen Ländern haben nationalkonservative Kräfte stark zugenommen und erreichen je nach Land 25 – 40 % der Stimmbürger. Da verstecken sich antiliberale, autoritäre und immer stark nationalistische Züge. Diese Tendenzen verfügen über willensstarke, teilweise demagogische, jedenfalls populistische Führergestalten (Trump, Putin, Xi, Johnson, Orban, Salvini, Le Pen, Blocher, usw.) Andererseits verfügt die Gegenseite, «die alte Elite» (die Demokraten in den USA, Labor in England, die Krise der Sozialdemokraten und der klassischen Parteien in Europa), kaum über klare zukunftsorientierte Persönlichkeiten und Parteien mit überzeugenden Strategien. Zum nationalkonservativen Modell gibt es keine überzeugende Alternative, an welcher sich die junge Generation orientieren kann. Der Traum der frühen 90-er Jahre eines Triumphes der demokratischen, liberalen und kapitalistischen Welt (unter der Führung der USA ist längst verflogen. In den Augen der Kritiker ist gerade das (neo-)liberale, demokratische und kapitalistischen Modell verantwortlich für die gegenwärtige Krise.

Klimawandel, verfügbare Ressourcen und Digitalisierung deuten auf einen Umbruch mit schmerzlichen Folgen der bisherigen Gewinner hin, zu denen wir gehören. Wir stehen in einer Grundwelle, welche unser System und unsere politischen Glaubenssätze, die wir uns mindesten seit 1945 pflegen, erschüttern.

Zu dieser Grundwelle kommen nun die geopolitischen Veränderungen. Am deutlichsten ist der Bedeutungsverlust Europas und des transatlantischen Systems zugunsten des Pazifikraumes, die rasante Wirtschaftsentwicklung in China und das wachsende Selbstbewusstsein der Schwellenländer.

China ist sicher die Speerspitze der geopolitischen Veränderungen. Es ist ein singuläres Beispiel und hat gleichzeitig repräsentative Züge für ein neues Verhaltensmuster.

Das wirtschaftliche Wachstum wird vom Staat dazu verwendet, die Gewinne abzuschöpfen und dem Land einen enormen aussenpolitischen Schub zu verleihen. Die Belt and Road Initiative zeigt, wie der Staat die wirtschaftliche Expansion initiiert, dirigiert und leitet. Eingebettet in einer von der Partei formulierten und kontrollierten Langfriststrategie sichert sich China in der Nachbarschaft aber auch in Afrika und Lateinamerika den Zugang zu Rohstoffen und besetzt wichtige handelspolitische Stützpunkte. Das Reich der Mitte verstärkt die traditionelle zentralistische, nach innen gerichtete Kontrollpolitik und setzt gegen aussen klar auf Expansion und knüpft dabei an die machtpolitischen Ansprüche der Ming Dynastie des 15. Jahrhunderts an. Diese rasante Entwicklung wird je nach Perspektive anders analysiert: Die westlich, liberal geprägte Schule glaubt, dass China sich reformieren muss. Wirtschaftlicher Fortschritt und langfristiges Wachstum ist demnach nur mit unternehmerischer Freiheit, Demokratie und Liberalismus möglich. Dieser Vision steht die Tatsache gegenüber, dass Nordostasien nicht nur durch das marxistisch-leninistische Organisationssystem geprägt ist. Die neokonfuzianische Tradition verleiht dem System eine kulturelle Verankerung und der Gesellschaft einen Wertrahmen, der kaum Gegenkräfte zum allmächtigen Staat schafft. Das System von Checks and Balances, eine Voraussetzung für Demokratie als internes Gleichgewicht, funktioniert nicht. Deshalb gibt es kaum Elemente des Wandels im westlichen Sinne. Es ist ein System, das gemäss traditionelle Leseart als sozialistisch bezeichnet wird. Dabei wird übersehen, dass diese autoritären Länder längst den Kapitalismus adaptiert haben und heute eine Art politischen Kapitalismus unter der Führung des Staates betreiben.

Geopolitisch sind zwei Lektionen von Bedeutung: Der teilweise übermächtige Staat greift direkt in die Wirtschaftspolitik ein und betrachtet die wirtschaftlichen Interessen als Baustein für die aussenpolitische Einflussnahme. Innenpolitisch verpackt in nationalistische Schlagwörter, ergeben sich kaum politische Kräfte als Gegengewicht. Es ist das Modell, das wir auch in Russland und in Schwellenländern sehen. In den USA unter Präsident Trump gibt es teilweise parallele Entwicklungen. Der sich anbahnende Wirtschaftskrieg mit China ist ein deutlicher Hinweis. Gleichzeitig ist es aber so, dass die nationalkonservativen Kräfte und Unternehmen im Westen durch das autoritäre «Modell China» beeindruckt sind. Sie erwarten kurzfristig Marktzugang und interessante Aufträge. Zentrale Werte, welche unser System prägen, werden geschwächt. Der chinesische Wissensdurst, saugt die Technologie unserer Unternehmen auf. Unsere Unternehmen sind begeistert, solange der chinesische Staat glaubt, dass sie ihm nützen. Eine Warnung sollte uns Afrika sein: Der europäische Einfluss auf dem Kontinent hat drastisch abgenommen. Die Chinesen sind nicht nur dominierend im Infrastrukturbau, im Bergbau, sondern auch im Kleinhandel.

Welches sind die möglichen Konsequenzen für die schweizerische Aussenpolitik? Müssen wir wie China zeigt, den Staat zum Vorläufer und Steigbügelhalter für die wirtschaftlichen Interessen machen. Muss die Schweizer Regierung sich mit ähnlichen Instrumenten ausrüsten, um für die Unternehmen mit gleich langen Spiessen zu kämpfen? Es gibt dazu im Avis 28 klare Anzeichen dafür. Oder müssen wir uns enger an die EU anschliessen, damit wir überhaupt eine Chance haben, einen gewissen Einfluss beispielsweise in Afrika aufrechtzuerhalten? Abwegig wäre es nicht. Der rasant wachsende Einfluss Chinas in Afrika wird die Migration Richtung Europa nicht verlangsamen, im Gegenteil. Eine dritte Alternative wäre die Beibehaltung einer offenen, liberalen freiheitlichen Ordnung. Wir glauben, dass demokratische, föderalistische Strukturen, Autonomie und Schutz der Minderheiten im Innern aber auch in der Aussenpolitik eine Richtschnur für unser Handeln sind und für die Welt von morgen sinnvoll sein können. Dies dürfte uns zu mehr Nischenpolitik und weniger zu Mainstreaming führen. Wir müssten dabei differenzieren zwischen Aussenwirtschaftspolitik und Entwicklungszusammenarbeit, zwischen kurzfristigem Nutzen und langfristigen gegenseitigen Interessen. Nachhaltige Politik muss Beiträge zur Reduktion von Ungleichheiten und Spannungen beitragen. Die Vision 2028 ist zu eindimensional auf kurzfristige Interessen ausgelegt und als Orientierungshilfe nur von beschränkter Hilfe: Sie zeigt nicht Alternativen auf, sondern versucht uns weise zu machen, dass wir von Allem etwas haben können, wenn wir uns bloss anstrengen.