Für die zukünftige Vision unserer Aussenpolitik ist sicher das Vermessen der internationalen Lage eine Notwendigkeit. In einer Referendumsdemokratie mit föderalistischen Strukturen und ausgeprägter Gemeindeautonomie gehört aber die Wechselwirkung zwischen Aussenpolitik und Innenpolitik ebenso sehr zu den wesentlichen Vermessungszonen, die aussenpolitisches Handeln beeinflussen. Die Vision 28 trägt diesem Umstand Rechnung, indem sie die Rolle des eidgenössischen Parlaments (für Soft laws) und der Kantone hervorhebt. Dies ist eine notwendige aber bei weitem nicht ausreichende Bedingung, um der Verschränkung zwischen Aussen- und Innenpolitik gerecht zu werden. Die Vision 2028 gibt der Partnerschaft mit der Privatwirtschaft ein grosses Gewicht. Die Zivilgesellschaft wird überhaupt nicht erwähnt, was den Erfordernissen unseres politischen Systems, unseren Grundwerten sowie den gesellschaftlichen Erwartungen nicht entspricht. Wir können die direkt demokratischen Mechanismen, Föderalismus und Gemeindeautonomie in einer globalisierten Welt nur weiterentwickeln, wenn Elemente des «Sonderfalles Schweiz», die wir in den 90-er Jahren beerdigt haben, neu überprüfen.
Seit Mitte des 19. Jahrhunderts war die Schweiz international wirtschaftlich erfolgreich. Vorerst durch die international tätigen Handelsfirmen (Volkart Brothers, Burckhardt, Basler Mission, Andrey, DESCO usw.). Nach dem 1. Weltkrieg wurden schweizerische Firmen durch die Banken in ihrem Auslandgeschäft unterstützt. Mit dem enormen Wachstum seit dem zweiten Weltkrieg ist mehr und mehr ausländisches Kapital in die Schweiz geflossen. Heute weisen die grossen international tätigen Firmen einen substantiellen Anteil ausländischer Besitzer auf oder werden gar durch ausländisches Kapital beherrscht.
Der liberale Staat hat in diesen Entwicklungen eine äusserst diskrete Rolle gespielt und hat kaum je eingegriffen. Er war bestenfalls a «silent partner». Die Rolle der Welthandelsfirmen wurde vom Staat kaum wahrgenommen. Die Regierung hat nur ausnahmsweise, dank persönlichen Beziehungen für eine Firma (vgl. BALLY gegen BATA in den 30 er Jahren oder die Rettung der UBS in der Folge der Finanzkrise) eingegriffen.
Ausgangpunkt für Engagements in aussereuropäischen Gebieten waren immer interessierte, neugierige und risikofreudige Bürger. Wenn entwicklungswirksame Arbeit geleistet wurde, waren kompetente und engagierte Einzelpersonen involviert, welche in der schweizerischen Wirtschaft erfolgreich gearbeitet hatten und über einen soliden professionellen Rucksack verfügten. Der Nachteil solcher Pioniere war allerdings, dass ohne besondere Analyse der lokalen Situation und den Entwicklungsbedingungen zwar punktuelle Erfolg erzielt wurden, diese aber gesamtgesellschaftlich und wirtschaftlich nicht nachhaltig waren. Oft entstanden weisse Elefanten.
Die Avis 28 postuliert nun einseitig Marktzugang für schweizerische Unternehmungen und bezeichnet quasi exklusiv die Privatwirtschaft als Partner für Entwicklungszusammenarbeit. Die Autoren gehen davon aus, dass die Privatwirtschaft dank dem Staat als Steigbügelhalter erfolgreicher sein wird. Diese Vermischung von Aussenwirtschaftspolitik und Entwicklungspolitik widerspricht aber den Gepflogenheiten eines liberalen Staates und ist kaum zielführend. Die Neuorientierung, welche auch den Rahmenkredit für zukünftige internationale Zusammenarbeit prägt, bringt die Unternehmen ins gleiche Fahrwasser, wie die verpönten Entwicklungshelfer vor 50 Jahren.
Aussenwirtschaft braucht stabile politische Verhältnisse, Rechtstaatlichkeit und Investitionen. Entwicklungszusammenarbeit kann als Brückenbauer und Vermittler eine wichtige Rolle spielen. Operationell erfolgreiche Entwicklungszusammenarbeit benötigt auch heute eine Bündelung verschiedenster Akteure. Die Verbindungen Basisorganisation (Genossenschaft, Munizipalität) – ONG (Ausbildung)- Staat (Forschung und Rahmenbedingungen) – internationale Firma (Marketing, Standards, Zugang zu internationalem Markt) sind auch heute für Mehrwertschöpfung und Arbeitsbeschaffung Voraussetzungen zu Erfolg.
Solche Kombinationen sind auch innenpolitisch sinnvoll, weil sie erlauben internationale Zusammenarbeit nachvollziehbar zu machen und die politische Diskussion aus den traditionellen polarisierenden Debatten herauszunimmt. Die Zivilgesellschaft spielt nicht nur in der Durchführung von Unterstützungsprogrammen eine wichtige Rolle. Sie ist auch innenpolitisch ein wichtiger Animator und hilft internationale Zusammenarbeit innenpolitisch zu verankern. Schliesslich ist es die Zivilgesellschaft, welche traditionell schweizerische Besonderheiten wie Föderalismus, Gemeindeautonomie und Schutz der Minderheiten in den Aufbau von Gouvernanz und Stabilität in die praktische Entwicklungszusammenarbeit einbauen kann.
Die Ideen, Genf als Gouvernanzzentrum zu sehen und als Hub für künstliche Intelligenz aufzubauen und eine Technologie Aussenpolitik zu betreiben, tönen gut. Wir laufen aber damit auf der gleichen Schiene wie die Grossmächte und die likeminded. Wir müssen im Inland und im Ausland tatsächlich für gute Regierungsführung, Stabilität und Transparenz einsetzen. Damit schaffen wir die Offenheit für Kreativität, Flexibilität und Risikobereitschaft.
Wir brauchen aber mehr: unsere Neutralität und die guten Dienste, unsere potentielle Rolle als Mediatoren können wir nur spielen, wenn wir in unseren Beziehungen zu den ärmeren Ländern nicht nur als Vertreter von wirtschaftlichen Interessen auftreten sondern diesen legitimen Interessen einen minimalen ethischen Wertrahmen geben. Wir brauchen in unseren Partnerändern gute Verbindungen zur Zivilgesellschaft. Wir müssen über personelle Ressourcen verfügen, welche die lokale Situation in den Partnerländern verstehen, welche Beziehungen knüpfen können und dank ihrer Arbeit lokal ein gutes Ansehen geniessen. Es handelt sich dabei selten um Diplomaten, die alle vier Jahre in ein anderes Land versetzt werden, oder Vertreter der Privatindustrie, welche das Umfeld mit den Augen der Interessen des Mutterhauses in der Schweiz vermessen. Es sind sehr oft NGOs, aber auch ansässige Auslandschweizer. Es könnten aber auch junge Schweizer sein, die im Rahmen eines erweiterten Zivildienstes in die lokale gesellschaftliche, kulturelle und wirtschaftliche Welt eintauchen.
Eine erfolgreiche Aussenpolitik wird in Zukunft nicht ausschliesslich am Erfolg schweizerischer Unternehmen gemessen werden. In einer globalisierten Welt braucht die Aussenpolitik des Kleinstaates Schweiz ein Gleichgewicht zwischen wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Interessen. Sie benötigt ebenso sehr eine aufgeklärte Bürgerschaft und eine dynamische Zivilgesellschaft, die mithilft, die politische Bereitschaft für Veränderungen im Innern zu erhöhen. Diese Dimension der Aussenpolitik ist nicht im Fokus der Berater des EDA. Der vorgeschlagenen Vision 2028 fehlt die notwendige Ausgewogenheit.